Tabak
als Heilmittel?
Bei etwas tiefergehender Betrachtung des Problems bekommt dieses Szenario
etwas eigenartiges, denn immerhin waren es Mediziner, die den ursprünglichen
Erfolg des Tabaks mit "wissenschaftlichen Argumenten" möglich machten.
Als Panacea, Allheilmittel, hochstilisiert und in gelehrten Reden von
Universitätskathetern empfohlen, wurde Tabak besonders gerne bei Lungenproblemen
rezeptiert. Solche Rezepte wie auch Verordnungen, nach denen etwa die
Schüler des englischen Nobelinternats Eton aus medizinisch-prophylaktischen
Gründen täglich unter Aufsicht Tabak inhalieren mussten, wirken heute
fast wie üble Scherze. NACH OBEN
Tabak
als gesellschaftliches Phänomen
Auf gesellschaftlicher Ebene setzte sich der Tabak auf Grund seines enormen
Suchtpotentials [1] ebenfalls
rasant durch. Es heißt, er sei mit demselben Schiff nach Europa gelangt
wie die Kartoffel, nur habe deren Ausbreitung 100 Jahre länger gedauert.
Wir brauchen aber längst nicht solange zurückzuschauen, um auf gute Tabak-Zeiten
zu stoßen. Noch nach dem 2. Weltkrieg war die Zigarette das begehrteste
Zahlungsmittel, und noch heute ist sie eine unübersehbare Steuereinnahme-Quelle
aller modernen Industriestaaten. Dass der Staat so sehr gegen diese neben
dem Alkohol mit Abstand wichtigste Droge ist, mutet etwas eigenartig an,
wenn man bedenkt, dass der deutsche Gesundheitsminister, der auf jedem
Reklameplakat vor Tabak warnt, mit den Einnahmen der Tabaksteuer seinen
ganzen Etat finanzieren könnte. Es handelt sich offenbar um eine in verschiedener
Hinsicht staatstragende Droge, und so verwundert es auch weniger, dass
der ministerielle Protest optisch recht klein und bescheiden ausfällt.
Hier hat sich allerdings in letzter Zeit einiges gewandelt und durch Druck
aus Brüssel stehen jetzt wirklich abschreckende Botschaften auf den Packungen.
NACH OBEN
Be-Deutung
des Rauchens
Bei all diesen Ungereimtheiten und den aggressiver werdenden Auseinandersetzungen
geht das eigentliche Problem beinahe unter. Diese besteht ja nicht wirklich
in der Bedrohung der Gesellschaft durch die Raucher [2]
, sondern in der Bedrohung der Raucher durch sich selbst. Rauchen ist
eine Sucht mit erheblichen Auswirkungen auf die Gesundheit der Süchtigen,
die sich genauso deuten lassen, wie andere Krankheitssymptome. Betrachten
wir die Symptome des Rauchens von der ersten Zigarette bis zum Infarkt
oder Lungenkrebs, ergibt sich daraus die Be-Deutung des Rauchens. Auch
unter dem Aspekt solcher Diagnosen macht es wenig Sinn, Raucher zu diskriminieren,
ebenso wenig wie es Sinn macht, Nierenkranke zu beschimpfen und des Feldes
zu verweisen. NACH OBEN
Krankheitsbilder
So wie jedes Krankheitsbild erst durch Deuten bedeutungsvoll wird, gilt
es auch für Rauchen und die Vielfalt seiner Symptome. Auch wenn jeder
Raucher sein individuelles, nur für ihn typisches Symptommuster entwickelt,
lassen sich doch verschiedene allgemeine Tendenzen feststellen. Das erste
Rauchen beginnt mit einer Hustenreaktion. Ein Hustenstoß ist ein Abwehrversuch
der Lunge, die sich damit gegen die eingeatmeten Rußpartikel wehrt und
sie hustend wieder loswerden will. In Ausdrücken wie "jemandem etwas husten",
bellender Husten oder Reizhusten zeigt sich die Aggression, die hier mitschwingt.
Die Angst, die sich in das erste, zumeist verbotene Rauchritual mischt,
wird deutlich im Schiß der Minderjährigen. Sie haben oft im übertragenen
und häufig auch im Konkreten die Hosen voll, spielen sie doch nur erwachsen,
sind es aber längst noch nicht. Werden die ersten Abwehrreaktionen überspielt,
gewöhnt man, bzw. der Körper, sich an die neue giftige Situation, und
die Symptome treten erste einmal zurück. Wobei die typische Raucherbronchitis
mit ihrem morgendlichen Husten die Thematik bereits wieder aufnimmt und
symptomatische Ehrlichkeit ins Spiel bringt. Der Tag wird aggressiv (hustend)
begonnen, allerdings im Körper anstatt im Bewusstsein. Mit der Lunge ist
zudem das neben der Haut zweite Kontaktorgan betroffen. Sie ist für den
Gasaustausch zuständig und ebenso für unsere Sprache, die auf der Modulation
des Ausatemstromes beruht. Wir atmen alle dieselbe Luft und sind durch
sie verbunden. Im Körper verbindet das Atmen die linke mit der rechten
Seite, oben mit unten, Bewusstes und Unbewusstes und ganz allgemein die
beiden Seiten der Polarität: Ein und Aus. So spiegelt der Schauplatz der
Bronchitis die Problemebene: Kommunikation. Eine "-itis" steht jeweils
für Entzündung, hier also für eine Entzündung im Bronchial-, bzw. Kontaktbereich.
Die Schulmedizin belegt sehr anschaulich was dahinter steckt: Das Abwehrsystem
des Körpers führt Krieg gegen eingedrungene Angreifer, die Erreger. Wir
haben also in diesem Fall einen unbewussten und sich deshalb verkörpernden
Konflikt, einen Krieg im Kommunikationsbereich.
Diesem
selben Thema begegnen wir auch bei den relativ rasch auftretenden Durchblutungsstörungen.
Jede einzelne Zigarette senkt merkbar die Blutversorgung der Hände und
Füße und überhaupt der Haut. Eine zur Begrüßung gereichte kalte Hand zeigt,
dass sie nicht von Herzen kommt, dass die Hautgrenze gar nicht belebt
ist, der Besitzer solcher Hände mit seiner Lebenskraft, seinem Blut, zurückhält
und jedenfalls nicht bis an seine Grenzen geht. Die Begrüßten spüren die
Situation intuitiv und fühlen sich weder warm angenommen noch herzlich
begrüßt. Mit kalten unlebendigen Händen ist es darüber hinaus kaum möglich,
sein Leben in den Griff zu bekommen. Kalte Füße sprechen von der kalten
Angst. Wer in entscheidenden Momenten kalte Füße bekommt, versäumt Wesentliches,
seine Verbindung zur Basis ist nicht vital, sein Kontakt zu Mutter Erde
kein lebendiger. Im übertragenen Sinn hat solch ein Mensch seinen Platz
im Leben noch nicht gefunden, sonst könnte er Wurzeln schlagen. Solche
ersten Anzeichen von Durchblutungsstörungen sind symbolisch überaus verräterisch,
medizinisch dagegen noch harmlos. Spätere sind es nicht mehr. Wenig fördert
die allgemeine Verkalkung, bzw. Arteriosklerose, so wie Rauchen. Gefäßverschlüsse
der Beine machen deutlich, dass hier jemand nicht mehr vorwärts kommt.
Aufstiege werden zur Qual und wenige Stufen zu unüberwindlichen Hindernissen.
Die Medizin spricht von Claudicatio intermittens, der zwischenzeitlichen
Lahmheit, bei der die Betroffenen alle paar Meter stehen bleiben müssen
(Schaufenster-Krankheit).
Bei
der Angina pectoris, der Enge der Brust, die eine Vorstufe des Herzinfarktes
ist, zeigt sich neben der Unfähigkeit, genug Lebenskraft, bzw. Blut ins
eigene Herz zu lenken, die große Angst (lat. angustus = eng) vor den eigenen
Herzensangelegenheiten. Der Infarkt treibt die Symbolik auf die Spitze
- hier wird die eigene Lebensmitte, das Herz, von den verengten Versorgungswegen
stranguliert und stirbt ganz oder in Teilen ab. Der Körper demonstriert
den Betroffenen auf die schmerzhafteste Weise, dass sie ihr Herz und mit
ihm die Herzensthemen verhungern lassen. Der Schmerz des manchmal wirklich
brechenden Herzens zieht die ganze Aufmerksamkeit zur eigenen Lebensmitte
und die Betroffenen wie auch das Heer der medizinischen Fachleute kümmern
sich nun ausschließlich um dieses Zentrum. Die Verbindung zur eigenen
Mitte rückt wenigstens auf der unerlösten medizinischen Ebene in den Mittelpunkt.
Auch
die anderen Ausprägungen der Arteriosklerose sind nicht weniger deutlich.
Beim Raucherbein verfault man tatsächlich, beginnend am Fuß bei lebendigem
Leibe. Das Bein als Organ der äußeren Fortbewegung und Kommunikation fällt
buchstäblich stückweise ab. Beim weniger bekannten, aber kaum weniger
schrecklichen Raucherpenis verlässt einen dieses Glied auf dieselbe anrüchige
Weise. Dass die sexuelle Kommunikation schon lange vorher behindert ist,
versteht sich von selbst, vor allem wenn man bedenkt, dass außer exzessivem
Alkoholgenuss nichts so impotent macht wie Rauchen. Die Tatsache, dass
60 % der Raucher mit Potenzproblemen geschlagen sind, kontrastiert eindrucksvoll
zu jener vollmundigen Werbung, die extra-starke Zigaretten für extra-starke
Männer empfiehlt und sich in Wirklichkeit wohl eher an Schlappschwänze
richtet oder solche die es werden müssen.
Andere
Symptome beleuchten in ihrer Symbolsprache andere Facetten desselben Problems
der Raucher: beim Lungenkrebs entartet das für den Gasaustausch zuständige
Gewebe und die Kommunikationswege des Kontaktorganslunge wuchern zu, bei
Kehlkopfkrebs fangen die Stimmbändern an bösartig zu wuchern und machen
sprachliche Äußerungen erst schwierig und dann unmöglich.
Zusammengenommen
zielen die meisten Symptome des Rauchens auf das Thema Kommunikation und
im Zusammenhang damit auf Angst und Abhängigkeit. Letztere ist die unerlöste
Seite von Verbundenheit und Beziehung. Dass es sich beim Rauchen um eine
Abhängigkeit mit allen Anzeichen der Sucht handelt, ist heute unbestritten.
Hinter jeder Sucht aber lassen sich Aspekte von Flucht entdecken und noch
weiter dahinter verbergen sich, oft tief ins Unbewusste abgerutscht, Spuren
der Suche. NACH OBEN
Ziele
der Werbekampagnen
Auf das Hauptthema Kommunikation mit seinen Anhängseln Angst und Suche
laufen nicht nur die Symptome hinaus, darauf zielen, wenn auch vom entgegengesetzten
Pol die Werbekampagnen der Tabakindustrie. Während die Symptome in ihrer
schmerzhaften, aber ehrlichen Art zeigen, was den Betroffenen fehlt, zeigen
es die Werbestrategen in lichten Bildern. Den Marlboro-Anhängern
fehlt offensichtlich der Heldenmut jener Cowboys, die sich aus eigener
Kraft im paradiesisch unberührten und so harten Marlboro-Country durchschlagen.
Weder haben sie ihre Triebe, symbolisiert in den starken Pferden, sicher
zwischen den Schenkeln unter Kontrolle, noch können sie ihre Energien
so frei und ungebunden fließen lassen. Die Camel-Fans hätten ebenfalls
gern jenen Abenteuermut, der Ihre Leitfigur auszeichnet. Auch sie würden
wohl gern meilenweit gehen, um richtige Männer zu werden oder Frauen,
die zumindest ihren Mann stehen. Die Lord Extras wären gerne etwas
besonderes und hätten auch nur zu gern so wunderbar schöne Modell-Menschen
um sich, während sie auf ihrer Yacht im Hafen von St. Tropez die Kommunikation
mit etwas schöneren und interessanteren Menschen pflegen. Allein bis die
Zeit dereinst einmal reif für solche Träume ist, nehmen sie mit den Luft-
und Wolkenschlössern der einschlägigen Marke vorlieb. Anstatt auf die
Tabakwerbung zu schimpfen, könnte man sie genauso begrüßen und benutzen,
um den jeweiligen Raucher zu durchschauen und ihm sein Thema daraus zu
deuten. Eine bessere Karikatur kann es kaum geben und so auch keine bessere
Möglichkeit, um ehrlich zu werden. Wer es geschafft hat, etwas ganz besonderes
aus sich und seinem Leben zu machen, der kann leicht von Lord Extra lassen
und braucht sich auch nicht John-Player-Special auf sein Auto malen.
Wer unübersehbar von Kopf bis Fuß auf seine eigene Weiblichkeit setzen
kann, braucht das Thema nicht durch den wenig geheimnisvollen Rauch einer
Zigarette namens Eve zu unterstreichen, superschlanke und kapriziöse
Frauen können auf superslime Zigaretten verzichten, wie auch auf
solche der Marke Caprice. Wessen Leben vor Originalität nur so
strotzt mag noch die HB- und West-Werbung genießen, die
entsprechenden Zigaretten wird er kaum rauchen, denn rauchen ist weder
originell noch witzig, in Wahrheit ist es ein Ventil für den Frust von
Hinz und Kunz. Wirklich kreative, besondere und originelle Menschen suchen
und finden erlöstere Mittel des Selbstausdrucks. NACH
OBEN
Lösungsansätze
Wie alle Krankheitsbilder bergen auch die Symptome der Raucher bereits
Lösungsansätze in sich. Zigaretten können helfen Kommunikationsprobleme
anzugehen. Wie niemandem sonst ist es Rauchern gestattet, wildfremde Menschen
und sogar solche vom anderen Geschlecht anzusprechen und um ihr Feuer
zu bitten. Ein Nichtraucher dürfte sich dergleichen niemals erlauben.
Solang sie ihre Zigaretten dabei haben oder zumindest erwähnen, können
sich Raucher beim Anbandeln auf die frechste Art Halt suchen. Selbst wenn
der angesprochene Partner weder mit Feuer noch Rauch aushelfen kann, wird
er sich höflich entschuldigen und das Gespräch ist eröffnet. Noch aus
alten Zeiten, als das Rauchen noch etwas galt, können Raucher Solidarität
bei der Ausübung ihrer Sucht erwarten. Kaum ein Gefragter wird sich abweisend
zeigen, etwa nach dem Motto: "Entfernen sie sich, ich leide nicht an Ihrer
Krankheit!" Eine Chance für alle Betroffenen, die Raucher und auch jene,
die sich von ihnen betroffen fühlen, läge in der Mitte zwischen übertriebener
Solidarität mit krankhafter Sucht und einer Diskriminierung, die auch
sonst kein Kranker erdulden muss. NACH
OBEN
von
Dr. Ruediger Dahlke
[1]
Man muß heute davon ausgehen, daß das Suchtpotential des Nikotins annähernd
dem des Heroins entspricht. ZURÜCK
[2]
Das Thema "Passiv-Rauchen" wird dem Zeitgeist folgend im Rahmen der
Anti-Raucher-Kampagnen aufgebauscht, wobei auch vor unredlicher Stimmungsmache
nicht zurückgeschreckt wird. Da wird dann etwa festgestellt, das Lungenkrebsrisiko
eines Nichtrauchers steige an der Seite eines rauchenden Partners um
bis zu 20 %. Bei dieser Logik wäre zu bedenken, daß das Absturz-Risiko
eines Swiss Air Piloten gegenüber einem notorischen Nichtflieger statistisch
noch viel eindrucksvoller erhöht ist. Unredliche Stimmungsmache wird
daraus, wenn verschwiegen wird, daß das absolute Risiko des Piloten
praktisch Null ist, ebenso wie das des "passiv-rauchenden" Partners. ZURÜCK
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