Rauchen
12. März 2004
von Dr. med.
RUEDIGER DAHLKE
Arzt und Psychotherapeut

Tabak als Heilmittel?

Tabak als gesellschaftliches Phänomen

Be-Deutung des Rauchens

Krankheitsbilder

Ziele der Werbekampagnen

Lösungsansätze

Buchtipps

Informationen

DIE PSYCHOLOGIE DES BLAUEN DUNSTES
Be-Deutung und Chance des Rauchens
von Ruediger und Margit Dahlke

Mai 2000. 207 Seiten.
Verlag
Droemer Knaur

Preis: € 7,90
ISBN: 3-426-87106-8

RAUCHEN
Frei werden von Abhängigkeit
von Ruediger Dahlke

Audio-CD. April 2003.
Goldmann Verlag

Preis: € 22,-
ISBN: 3-442-33701-1

Weitere Literatur:
„Krankheit als Symbol“ Bertelsmann, 1992

Informationen

Dr. med. Ruediger Dahlke

Info-Adresse:Heil-Kunde-Institut Graz, A-8151 Hitzendorf, Tel.: 0043-316-719888-5 Fax: -6; E-mail: info@dahlke.at

Internet: www.dahlke.at

Heute etwas über Rauchen zu schreiben, scheint angesichts der von allen Seiten auf die Raucher niederprasselnden "Argumente" und der weltweiten Ächtung ihrer Sucht beinahe überflüssig, wäre da nicht der Verdacht, dass es sich auch bei Rauchern um Menschen mit Problemen und Symptomen handelt, die nicht nur rauchen, um Nichtraucher zu ärgern.

Raucher werden erstaunlicherweise nicht wie andere Symptomträger als Kranke bedauert, sondern geradezu als Gesellschaftsschädlinge geächtet. Von Medizinern und Politikern geschürter Volkszorn ist ihnen sicher, wo immer sie ihrem Laster frönen. So ist es nicht verwunderlich, dass kaum noch ein Raucher zu seiner Lust am Glimmstängel steht. Die Mehrheit hat sich zu schuld bewussten Leisetretern gemausert, die gebeugt unter der Beweislast medizinischer Statistik, hinter mitleidheischenden Argumenten Schutz suchen wie, "ich möchte ja aufhören, aber ich schaff's nicht". Mit diesem Eingeständnis der Abhängigkeit und Schwäche geben sich die militanter werdenden Nichtraucher allerdings nur noch begrenzt zufrieden.

Tabak als Heilmittel?
Bei etwas tiefergehender Betrachtung des Problems bekommt dieses Szenario etwas eigenartiges, denn immerhin waren es Mediziner, die den ursprünglichen Erfolg des Tabaks mit "wissenschaftlichen Argumenten" möglich machten. Als Panacea, Allheilmittel, hochstilisiert und in gelehrten Reden von Universitätskathetern empfohlen, wurde Tabak besonders gerne bei Lungenproblemen rezeptiert. Solche Rezepte wie auch Verordnungen, nach denen etwa die Schüler des englischen Nobelinternats Eton aus medizinisch-prophylaktischen Gründen täglich unter Aufsicht Tabak inhalieren mussten, wirken heute fast wie üble Scherze. NACH OBEN

Tabak als gesellschaftliches Phänomen
Auf gesellschaftlicher Ebene setzte sich der Tabak auf Grund seines enormen Suchtpotentials [1] ebenfalls rasant durch. Es heißt, er sei mit demselben Schiff nach Europa gelangt wie die Kartoffel, nur habe deren Ausbreitung 100 Jahre länger gedauert. Wir brauchen aber längst nicht solange zurückzuschauen, um auf gute Tabak-Zeiten zu stoßen. Noch nach dem 2. Weltkrieg war die Zigarette das begehrteste Zahlungsmittel, und noch heute ist sie eine unübersehbare Steuereinnahme-Quelle aller modernen Industriestaaten. Dass der Staat so sehr gegen diese neben dem Alkohol mit Abstand wichtigste Droge ist, mutet etwas eigenartig an, wenn man bedenkt, dass der deutsche Gesundheitsminister, der auf jedem Reklameplakat vor Tabak warnt, mit den Einnahmen der Tabaksteuer seinen ganzen Etat finanzieren könnte. Es handelt sich offenbar um eine in verschiedener Hinsicht staatstragende Droge, und so verwundert es auch weniger, dass der ministerielle Protest optisch recht klein und bescheiden ausfällt. Hier hat sich allerdings in letzter Zeit einiges gewandelt und durch Druck aus Brüssel stehen jetzt wirklich abschreckende Botschaften auf den Packungen. NACH OBEN

Be-Deutung des Rauchens
Bei all diesen Ungereimtheiten und den aggressiver werdenden Auseinandersetzungen geht das eigentliche Problem beinahe unter. Diese besteht ja nicht wirklich in der Bedrohung der Gesellschaft durch die Raucher [2] , sondern in der Bedrohung der Raucher durch sich selbst. Rauchen ist eine Sucht mit erheblichen Auswirkungen auf die Gesundheit der Süchtigen, die sich genauso deuten lassen, wie andere Krankheitssymptome. Betrachten wir die Symptome des Rauchens von der ersten Zigarette bis zum Infarkt oder Lungenkrebs, ergibt sich daraus die Be-Deutung des Rauchens. Auch unter dem Aspekt solcher Diagnosen macht es wenig Sinn, Raucher zu diskriminieren, ebenso wenig wie es Sinn macht, Nierenkranke zu beschimpfen und des Feldes zu verweisen. NACH OBEN

Krankheitsbilder
So wie jedes Krankheitsbild erst durch Deuten bedeutungsvoll wird, gilt es auch für Rauchen und die Vielfalt seiner Symptome. Auch wenn jeder Raucher sein individuelles, nur für ihn typisches Symptommuster entwickelt, lassen sich doch verschiedene allgemeine Tendenzen feststellen. Das erste Rauchen beginnt mit einer Hustenreaktion. Ein Hustenstoß ist ein Abwehrversuch der Lunge, die sich damit gegen die eingeatmeten Rußpartikel wehrt und sie hustend wieder loswerden will. In Ausdrücken wie "jemandem etwas husten", bellender Husten oder Reizhusten zeigt sich die Aggression, die hier mitschwingt. Die Angst, die sich in das erste, zumeist verbotene Rauchritual mischt, wird deutlich im Schiß der Minderjährigen. Sie haben oft im übertragenen und häufig auch im Konkreten die Hosen voll, spielen sie doch nur erwachsen, sind es aber längst noch nicht. Werden die ersten Abwehrreaktionen überspielt, gewöhnt man, bzw. der Körper, sich an die neue giftige Situation, und die Symptome treten erste einmal zurück. Wobei die typische Raucherbronchitis mit ihrem morgendlichen Husten die Thematik bereits wieder aufnimmt und symptomatische Ehrlichkeit ins Spiel bringt. Der Tag wird aggressiv (hustend) begonnen, allerdings im Körper anstatt im Bewusstsein. Mit der Lunge ist zudem das neben der Haut zweite Kontaktorgan betroffen. Sie ist für den Gasaustausch zuständig und ebenso für unsere Sprache, die auf der Modulation des Ausatemstromes beruht. Wir atmen alle dieselbe Luft und sind durch sie verbunden. Im Körper verbindet das Atmen die linke mit der rechten Seite, oben mit unten, Bewusstes und Unbewusstes und ganz allgemein die beiden Seiten der Polarität: Ein und Aus. So spiegelt der Schauplatz der Bronchitis die Problemebene: Kommunikation. Eine "-itis" steht jeweils für Entzündung, hier also für eine Entzündung im Bronchial-, bzw. Kontaktbereich. Die Schulmedizin belegt sehr anschaulich was dahinter steckt: Das Abwehrsystem des Körpers führt Krieg gegen eingedrungene Angreifer, die Erreger. Wir haben also in diesem Fall einen unbewussten und sich deshalb verkörpernden Konflikt, einen Krieg im Kommunikationsbereich.

Diesem selben Thema begegnen wir auch bei den relativ rasch auftretenden Durchblutungsstörungen. Jede einzelne Zigarette senkt merkbar die Blutversorgung der Hände und Füße und überhaupt der Haut. Eine zur Begrüßung gereichte kalte Hand zeigt, dass sie nicht von Herzen kommt, dass die Hautgrenze gar nicht belebt ist, der Besitzer solcher Hände mit seiner Lebenskraft, seinem Blut, zurückhält und jedenfalls nicht bis an seine Grenzen geht. Die Begrüßten spüren die Situation intuitiv und fühlen sich weder warm angenommen noch herzlich begrüßt. Mit kalten unlebendigen Händen ist es darüber hinaus kaum möglich, sein Leben in den Griff zu bekommen. Kalte Füße sprechen von der kalten Angst. Wer in entscheidenden Momenten kalte Füße bekommt, versäumt Wesentliches, seine Verbindung zur Basis ist nicht vital, sein Kontakt zu Mutter Erde kein lebendiger. Im übertragenen Sinn hat solch ein Mensch sei­nen Platz im Leben noch nicht gefunden, sonst könnte er Wurzeln schlagen. Solche ersten Anzeichen von Durchblutungsstörungen sind symbolisch überaus verräterisch, medizinisch dagegen noch harmlos. Spätere sind es nicht mehr. Wenig fördert die allgemeine Verkalkung, bzw. Arteriosklerose, so wie Rauchen. Gefäßverschlüsse der Beine machen deutlich, dass hier jemand nicht mehr vorwärts kommt. Aufstiege werden zur Qual und wenige Stufen zu unüberwindlichen Hindernissen. Die Medizin spricht von Claudicatio intermittens, der zwischenzeitlichen Lahmheit, bei der die Betroffenen alle paar Meter stehen bleiben müssen (Schaufenster-Krankheit). 

Bei der Angina pectoris, der Enge der Brust, die eine Vorstufe des Herzinfarktes ist, zeigt sich neben der Unfähigkeit, genug Lebenskraft, bzw. Blut ins eigene Herz zu lenken, die große Angst (lat. angustus = eng) vor den eigenen Herzensangelegenheiten. Der Infarkt treibt die Symbolik auf die Spitze - hier wird die eigene Lebensmitte, das Herz, von den verengten Versorgungswegen stranguliert und stirbt ganz oder in Teilen ab. Der Körper demonstriert den Betroffenen auf die schmerzhafteste Weise, dass sie ihr Herz und mit ihm die Herzensthemen verhungern lassen. Der Schmerz des manch­mal wirklich brechenden Herzens zieht die ganze Aufmerksamkeit zur eigenen Lebensmitte und die Betroffenen wie auch das Heer der medizinischen Fachleute kümmern sich nun ausschließlich um dieses Zentrum. Die Verbindung zur eigenen Mitte rückt wenigstens auf der unerlösten medizinischen Ebene in den Mittelpunkt.

Auch die anderen Ausprägungen der Arteriosklerose sind nicht weniger deutlich. Beim Raucherbein verfault man tatsächlich, beginnend am Fuß bei lebendigem Leibe. Das Bein als Organ der äußeren Fortbewegung und Kommunikation fällt buchstäblich stückweise ab. Beim weniger bekannten, aber kaum weniger schrecklichen Raucherpenis verlässt einen dieses Glied auf dieselbe anrüchige Weise. Dass die sexuelle Kommunikation schon lange vorher behindert ist, versteht sich von selbst, vor allem wenn man bedenkt, dass außer exzessivem Alkoholgenuss nichts so impotent macht wie Rauchen. Die Tatsache, dass 60 % der Raucher mit Potenzproblemen geschlagen sind, kontrastiert eindrucksvoll zu jener vollmundigen Werbung, die extra-starke Zigaretten für extra-starke Männer empfiehlt und sich in Wirklichkeit wohl eher an Schlappschwänze richtet oder solche die es werden müssen. 

Andere Symptome beleuchten in ihrer Symbolsprache andere Facetten desselben Problems der Raucher: beim Lungenkrebs entartet das für den Gasaustausch zuständige Gewebe und die Kommunikationswege des Kontaktorganslunge wuchern zu, bei Kehlkopfkrebs fangen die Stimmbändern an bösartig zu wuchern und machen sprachliche Äußerungen erst schwierig und dann unmöglich.

Zusammengenommen zielen die meisten Symptome des Rauchens auf das Thema Kommunikation und im Zusammenhang damit auf Angst und Abhängigkeit. Letztere ist die unerlöste Seite von Verbundenheit und Beziehung. Dass es sich beim Rauchen um eine Abhängigkeit mit allen Anzeichen der Sucht handelt, ist heute unbestritten. Hinter jeder Sucht aber lassen sich Aspekte von Flucht entdecken und noch weiter dahinter verbergen sich, oft tief ins Unbewusste abgerutscht, Spuren der Suche. NACH OBEN

Ziele der Werbekampagnen
Auf das Hauptthema Kommunikation mit seinen Anhängseln Angst und Suche laufen nicht nur die Symptome hinaus, darauf zielen, wenn auch vom entgegengesetzten Pol die Werbekampagnen der Tabakindustrie. Während die Symptome in ihrer schmerzhaften, aber ehrlichen Art zeigen, was den Betroffenen fehlt, zeigen es die Werbestrategen in lichten Bildern. Den Marlboro-Anhängern fehlt offensichtlich der Heldenmut jener Cowboys, die sich aus eigener Kraft im paradiesisch unberührten und so harten Marlboro-Country durchschlagen. Weder haben sie ihre Triebe, symbolisiert in den starken Pferden, sicher zwischen den Schenkeln unter Kontrolle, noch können sie ihre Energien so frei und ungebunden fließen lassen. Die Camel-Fans hätten ebenfalls gern jenen Abenteuermut, der Ihre Leitfigur auszeichnet. Auch sie würden wohl gern meilenweit gehen, um richtige Männer zu werden oder Frauen, die zumindest ihren Mann stehen. Die Lord Extras wären gerne etwas besonderes und hätten auch nur zu gern so wunderbar schöne Modell-Menschen um sich, während sie auf ihrer Yacht im Hafen von St. Tropez die Kommunikation mit etwas schöneren und interessanteren Menschen pflegen. Allein bis die Zeit dereinst einmal reif für solche Träume ist, nehmen sie mit den Luft- und Wolkenschlössern der einschlägigen Marke vorlieb. Anstatt auf die Tabakwerbung zu schimpfen, könnte man sie genauso begrüßen und benutzen, um den jeweiligen Raucher zu durchschauen und ihm sein Thema daraus zu deuten. Eine bessere Karikatur kann es kaum geben und so auch keine bessere Möglichkeit, um ehrlich zu werden. Wer es geschafft hat, etwas ganz besonderes aus sich und seinem Leben zu machen, der kann leicht von Lord Extra lassen und braucht sich auch nicht John-Player-Special auf sein Auto malen. Wer unübersehbar von Kopf bis Fuß auf seine eigene Weiblichkeit setzen kann, braucht das Thema nicht durch den wenig geheimnisvollen Rauch einer Zigarette namens Eve zu unterstreichen, superschlanke und kapriziöse Frauen können auf superslime Zigaretten verzichten, wie auch auf solche der Marke Caprice. Wessen Leben vor Originalität nur so strotzt mag noch die HB- und West-Werbung genießen, die entsprechenden Zigaretten wird er kaum rauchen, denn rauchen ist weder originell noch witzig, in Wahrheit ist es ein Ventil für den Frust von Hinz und Kunz. Wirklich kreative, besondere und originelle Menschen suchen und finden erlöstere Mittel des Selbstausdrucks. NACH OBEN

Lösungsansätze
Wie alle Krankheitsbilder bergen auch die Symptome der Raucher bereits Lösungsansätze in sich. Zigaretten können helfen Kommunikationsprobleme anzugehen. Wie niemandem sonst ist es Rauchern gestattet, wildfremde Menschen und sogar solche vom anderen Geschlecht anzusprechen und um ihr Feuer zu bitten. Ein Nichtraucher dürfte sich dergleichen niemals erlauben. Solang sie ihre Zigaretten dabei haben oder zumindest erwähnen, können sich Raucher beim Anbandeln auf die frechste Art Halt suchen. Selbst wenn der angesprochene Partner weder mit Feuer noch Rauch aushelfen kann, wird er sich höflich entschuldigen und das Gespräch ist eröffnet. Noch aus alten Zeiten, als das Rauchen noch etwas galt, können Raucher Solidarität bei der Ausübung ihrer Sucht erwarten. Kaum ein Gefragter wird sich abweisend zeigen, etwa nach dem Motto: "Entfernen sie sich, ich leide nicht an Ihrer Krankheit!" Eine Chance für alle Betroffenen, die Raucher und auch jene, die sich von ihnen betroffen fühlen, läge in der Mitte zwischen übertriebener Solidarität mit krankhafter Sucht und einer Diskriminierung, die auch sonst kein Kranker erdulden muss. NACH OBEN

von Dr. Ruediger Dahlke

[1] Man muß heute davon ausgehen, daß das Suchtpotential des Nikotins annähernd dem des Heroins entspricht. ZURÜCK

[2] Das Thema "Passiv-Rauchen" wird dem Zeitgeist folgend im Rahmen der Anti-Raucher-Kampagnen aufgebauscht, wobei auch vor unredlich­er Stimmungsmache nicht zurückgeschreckt wird. Da wird dann etwa festgestellt, das Lungenkrebsrisiko eines Nichtrauchers steige an der Seite eines rauchenden Partners um bis zu 20 %. Bei dieser Logik wäre zu bedenken, daß das Absturz-Risiko eines Swiss Air Piloten gegenüber einem notorischen Nichtflieger statistisch noch viel eindrucksvoller erhöht ist. Unredliche Stimmungsmache wird daraus, wenn verschwiegen wird, daß das absolute Risiko des Piloten praktisch Null ist, ebenso wie das des "passiv-rauchenden" Partners. ZURÜCK

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