Dr. Ruediger DAHLKE |
zuletzt
geändert 9.
Mai 2003
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DIE
HERAUSFORDERUNG DES FREMDEN
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55 Jahre nach seinem vermeintlichen Ende ist der Rechtsradikalismus in Deutschland zunehmend lebendig, nachdem er nie wirklich verschwunden war. In den letzten Monaten hatten die Österreicher sich - aus deutscher Sicht zum Glück - die Sündenbockrolle erobert und mit großer Hingabe verteidigt. Noch schaut Europa gebannt auf Österreich, obwohl es dort keine brennenden Asylantenheime gibt, keine Anschläge gegen Fremde und schon gar keine Todesopfer des rechten Mobs. Dorthin werden von der EU drei sogenannte Weise gesandt, um nach „dem Rechten“ zu sehen. Wir können nur hoffen, daß sie auf dem Weg nicht durch Deutschland müssen, denn dann müßte ihnen wirklich angst und bange werden. | |||||||||
Ein
internationales Phänomen Nun ist aber das ganze Thema der von rechts geschürten Ausländerfeindlichkeit leider kein Phänomen des deutschen Sprachraumes, wenn es hier natürlich auch auf Grund der Geschichte - den größten Schrecken auslöst. Was sich Le Pens Leute in Frankreich leisten, Plocher in der Schweiz verkündet oder der Vlamsblock in Belgien zum Besten gibt, ist ziemlich braun eingefärbt und versammelt obendrein erschreckend viele Wähler hinter sich. In Deutschland haben wir noch das große Glück, daß die braunen Scharen im Augenblick und hoffentlich auch in Zukunft keinen populistisch wirksamen Volkstribun haben, der sie hinter sich scharen und wie in anderen Ländern geradezu gesellschaftsfähig machen könnte. Erstaunlich, daß obwohl alle großen politischen Gruppierungen, alle Kirchen und wichtigen Verbände unserer Gesellschaft entschieden gegen die braune Bewegung Stellung beziehen und deren Attraktivität trotzdem zunimmt. Politiker werden nicht müde, Besserung und mehr Aufklärung zu fordern, sie wollen rechte Parteien und Gruppen bekämpfen, Gesetze verschärfen, Gruppen verbieten und strenger und schneller aburteilen usw. usf. Weniger Gedanken macht man sich darum, den Hintergrund des Phänomens zu beleuchten. Die einzige gebetsmühlenhaft wiederholte Erklärung bezieht sich auf die soziale Lage. Schlechte Wirtschaftsbedingungen und Berufschancen und hohe Arbeitslosigkeit werden als Gründe ausgemacht. Das ist aber eher eine Beschreibung als eine Erklärung. Daraus folgt lediglich ein weiteres Mal, daß wir zu gnadenlosem Wirtschaftswachstum verurteilt sind, weil sonst auch noch neuerlicher Faschismus droht. Sich den psychologischen Hintergrund des Phänomens anzuschauen, ist leider fast unüblich, obwohl mir scheint, daß hier der entscheidende Ansatz zur Lösung läge. Wer die Entstehungsgeschichte des Rechtsradikalismus durchschaut, ist am besten vor einer dermaßen primitiven Projektionsmasche geschützt. Nicht nur Bildung ist gefordert, sondern das psychologische Verständnis der Sündenbockpolitik. nach oben Wirtschaftswachstum
und Fortschrittsglaube Es sind wieder dieselben einfältigen und nicht selten brutalen Gesichter Zu-kurz-Gekommener, die mit (fast) denselben Symbolen bewaffnet, die alten widerlichen Grußformeln erneuern und ihre geistlosen Parolen brüllen. Wir begegnen in ihnen - ob wir nun wollen oder nicht - unserer Vergangenheit. Wer aber immer wieder mit denselben Problemen konkrontiert wird, dürfte ruhig daraus schließen, daß er sie beim letzten Mal nicht gelöst hat. Als Gesellschaft drehen wir uns tatsächlich im Kreis. Das mag besonders unangenehm aufstoßen, weil das Entwicklungsymbol dieser Gesellschaft gerade nicht der Kreis, sondern der Pfeil mit eindeutiger Richtung ist. Wir wollen vorwärts und schauen gar nicht gern zurück, eben wohl aus Angst, daß die alten (nicht verarbeiteten) Zeiten sich wiederholen könnten. Genau das geschieht aber längst und nicht erst seit diesem Jahr 2000, jetzt fällt es nur endlich auch den Medien und dadurch auch den Politikern auf. Schon wieder werden Sündenböcke geprügelt und manchmal auch bereits wieder umgebracht, schon wieder brennen Häuser von Minderheiten, rechte Banden geraten sich mit Linken in die Haare und wieder ist deutlich, wer dabei den Kürzeren ziehen wird. Eine Polizei, die mit Engagement auf der relativ harmlosen 68-er-Studentenbewegung herumgeprügelt hatte und dabei sogar ein Todesopfer heraufbeschwor, sah - etwa in Rostok - „taktvoll“ beiseite, als der Rechtsstaat von rechts und allabendlich mit unverhohlenen Morddrohungen und entsprechenden -versuchen attackiert wurde. Politiker warteten sehr lange ab, sahen zu, demonstrierten Besorgtheit und manche nicht einmal das. Die Schweigende Mehrheit machte - wie üblich - ihrem Namen Ehre. Angesichts dieser Zustände und einer jüngeren Vergangenheit, die an Brutalität und Menschenverachtung nicht zu überbieten ist, drängt sich die Frage auf: Haben wir denn gar nichts gelernt? Wer
wird rechtsradikal und ausländerfeindlich? Wer sich aber in der eigenen Haut nicht wohl fühlt, wer keinen Beruf, sondern einen Job hat, um den er auch noch fürchten muß, den er nicht gerne macht und deshalb nicht gut und für den er folglich auch nur schlecht bezahlt wird, wer in einer gemieteten und damit fremden Wohnung Unterschlupf gefunden hat, die ihm nicht besonders zusagt und in der er sich fremd fühlt, wer sich auch in seiner Beziehung nicht angenommen und zuhause fühlen kann, wem gar nichts eigenes bleibt, außer einem Land, von dem er wenig hat und bekommt, der wird leichter dazu neigen, all die Fremdheitsgefühle nach draußen zu projizieren und das alte abgestandene Deutschtum auspacken. Wenn solch ein Mensch, der unter seinem eigenen Fremdsein leidet, sich das aber nicht eingesteht, jemand mit einer anderen Hautfarbe oder auch nur mit langen Hosen unter dem Rock sieht, jemanden also, dem man sein Fremdsein direkt ansieht, dann kann es leicht passieren, daß er dieses unbewußte Fremdheitsgefühl und all seine diesbezüglich negativen Gefühle auf Ausländer verschiebt. Projektion ist eine der ältesten Methoden mit dem eigenen Bösen umzugehen. Die jüdischen Stämme hatten zu diesem Zweck einen Sündenbock, einen Schaf- oder Ziegenbock, auf den sie alles Böse projizierten, was im Laufe des Jahres anfiel. Am Ende des Jahres wurde er geopfert oder in die Wüste gejagt. Das mag uns heute primitiv erscheinen, aber da es bewußt geschah, ist es viel menschlicher als all die unbewußten Projektionen, die in der Geschichte und bis in die Gegenwart unser Zusammenleben belasten. Der Mechanismus ist immer derselbe, ob er attraktive Frauen während der Inquisition traf, Juden und Zigeuner in der Nazizeit oder Ausländer in der Neuzeit. Warum
fühlen sich die Menschen fremd? Wer nicht rechtzeitig erwachsen wird, ist aber in seiner Entwicklung geistig-seelisch zurückgeblieben und wird sich als Kind in einem Erwachsenenkörper fremd fühlen. Solche Menschen, können mit ihrem Körper entsprechend wenig anfangen und sind außerstande im Augenblick zu leben. Sie empfinden es deshalb als Kompliment, wenn sie jünger geschätzt werden. Ein körperlich und seellisch parallel gereifter Mensch müßte das als ernstes Zeichen erachten. Diese auf die Lebensreise bezogene Situation, kennen wir von kürzeren Reisen. Bei einem Flug von Hamburg nach Rom ist der Körper oft schon in Italien gelandet, während die Seele noch über den Alpen hängt. Der in Rom gelandete Mensch fühlt sich entsprechend eigenartig und nicht wirklich angekommen. Wenn man sich solchermaßen zurückgeblieben, fremd und unfertig im eigenen Haus fühlt, gerät das Leben zur Strapaze und Überforderung. Wohin mit den bedrückenden Empfindungen des bedrohlich Fremden und der dadurch mobilisierten Angst? Auswege Schon aus dieser kurzen Geschichte ist ersichtlich, daß bei den an sich feigen und autoritätsfürchtigen Rechtsradikalen staatliche Härte durchaus abschreckend wirken würde im Gegensatz etwa zu den 68-ern, wo sie zu einer Eskalation führte und führen mußte. Warum aber bekamen die Ausländerhasser in der jüngsten Vergangeheit von uns so bereitwillig ihre Chancen? Das hat wohl viel damit zu tun, daß die meisten Menschen in den modernen Industriegesellschaften im selben Dilemma stecken. Ohne funktionierende Rituale des Übergangs gelingt es nur noch wenigen, die Lebenskrisen als Reifungschancen zu erleben und erwachsene reife Menschen zu werden. Die an den Übergängen Gescheiterten werden aber in dieser Situation Sündenböcke suchen und finden. Dabei machen sie die Ausländer letztlich für Umstände verantwortlich, unter denen diese selbst am meisten leiden. Aber es ist eben immer leichter auf Opfer einzuprügeln als sich mit wirklichen und stärkeren Gegnern zu messen. Die unter dem Zölibat ächzenden Kleriker der Inquisitionszeit hätten sich auch mit dem Vatikan anlegen können, um das Problem zu lösen, aber das hätte Mut erfordert. So haben sie lieber das Problem auf die Frauen projiziert. Innerhalb der perversen Logik des Sündenbocksystems wird das Zölibat tatsächlich leichter zu ertragen, wenn man alle attraktiven Frauen der Umgebung umbringen läßt. So schrecklich das - schon wegen der zahlreichen unverarbeiteten Beispiele klingen mag - hängen wir letztlich bei diesem Thema alle zusammen und sind enger verbunden als uns meist bewußt und lieb ist. Da sind diejenigen, die sich in ihrer Heimat so unwohl und wenig verwurzelt fühlen, die die dortigen Umstände als ihrem Wesen so fremd empfinden, daß sie lieber in die Fremde fliehen, wo sie sogleich von allen als Fremde erkannt und behandelt werden. Geprügelt werden sie in der neuen „Heimat“ von jenen, die ihrem eigenen Fremdheitsgefühl und ihrer Enttäuschung vom Leben ausgeliefert sind und die auch keine wirkliche Heimat haben werden innerlich noch äußerlich. Ihnen fehlen die Möglichkeiten, die Zusammenhänge zu durchschauen, genau wie denjenigen Spießbürger, die gegen Ausländer gerichteten Projektions- und Gewaltorgien Beifall klatschend beiwohnen. Letztere stellen sogar die größere Gefahr dar, da sie in der Überzahl sind. Wie schon einmal und schon immer werden sie nur ein bißchen klatschen, solange es gefahrlos ist und im übrigen schweigen, bis es zu spät ist. Beide Gruppen zeichnen sich durch verblüffende Geschichtsblindheit aus. An diesem Punkt dürften sich nun endlich auch jene angesprochen und mitbeteiligt fühlen, die in diesem Land seit fast vierzig Jahren bezüglich der jüngsten Geschichte beide Augen zudrücken. Jene "Pädagogen" etwa, die zu meiner Schulzeit verhindert haben, daß wir bei einem zweimaligen Durchgang durch die ganze Geschichte über den I. Weltkrieg hinaus kamen - aus Zeitgründen selbstverständlich. Hier ist die Angst und Entfremdung der eigenen Geschichte gegenüber kaum zu übersehen. Die rechten Rabauken und Mörder haben schon recht, wenn sie glauben, daß ihnen einiges verschwiegen wurde bezüglich der Vergangenheit - nur geht ihr Verdacht gerade in die falsche Richtung. Die Ausländerhasser und die sie tolerierenden Spießbürger werden ihrerseits von einer anderen Gruppe gehaßt. Den Kämpfern der autonomen Linken, die sich für die Fremden stark machen, steht dabei allerdings auch nicht grade die Nächstenliebe in die zumeist vermummten Gesichter geschrieben. Im Gegenteil, sie treibt ebenfalls Haß um. Auch sie fühlen sich als Fremde und Außenseiter im eigenen Land und solidarisieren sich mit den anderen offiziellen Fremden, wohl nicht zuletzt um ihrem Haßstau Luft zu machen und dem System Schlachten liefern zu können. Alle
Menschen sind Fremde Sie zündeten schon einmal statt Häusern symbolische Lichter an und versuchten durch ihre Lichterketten Bewußtheit zu schaffen. Genauso wichtig wäre es, den Betroffenen der ersten drei Gruppen Lichter aufgehen zu lassen, das müßte in Elternhäusern und Kindergärten geschehen und ist in den Schulen schon ziemlich spät. Voraussetzung dafür wäre aber, daß Eltern und Pädagogen die Mechanismen durchschauen und erklären können. Gerade für Zu-kurz-Gekommene potentielle Rechtsradikale stellen Banden von Feiglingen und geistig Minderbemittelten eigentlich keinen Anreiz dar, im Gegenteil das sind ja ihre Feindbilder. Letztlich sind sie sich ja auch selbst feind, nur müßten wir ihnen die Chance geben, das zu erkennen. Dazu wäre es aber notwendig, daß rechte Schläger öffentlich und ständig als jene Feiglinge und Zu-kurz-Gekomme dargestellt werden, die sie - psychologisch leicht durchschaubar - sind. Momentan wirken sie stark auf Jugenliche, und das Verhalten von Staatsmacht und Politikern macht sie noch stärker. Einschlägig gefährdete Jungendliche würden gerade aus ihrem Muster heraus wenig Neigung zeigen, Zusammenschlüssen von Schlappschwänzen und Dummköpfen beizutreten, die bei jeder Gelegenheit ihre Grenzen aufgezeigt bekommen und immer und überall den kürzeren ziehen. Hier für Bewußtheit und frühe Aufklärung zu sorgen, ist eine schwere Aufgabe, sie ist aber aus psychologischer Sicht die einzige Chance. Der hilflose Versuch einiger Politiker, die Projezierer durch Erfüllung ihrer Forderungen ruhig zu stellen, ist dagegen bei Rechtradikalen immer fatal gewesen. Das ist zwar die klassische Antwort der bürgerlichen Rechten, aber sie hat immer versagt, und das ist psychologisch auch völlig klar, da sie von rechten Schlägern wie Politikern immer als Schwäche oder Sympathie erkannt wird. Rückwirkend ist auch Politikern klar geworden, daß die sogenannte Beschwichtigungspolitk gegenüber Hitler völlig kontraproduktiv war. Wenn es denn nur noch Deutsche in diesem Land gäbe und wenn die alle genug Arbeit hätten, würde es erst recht furchtbar. Diese Situation nämlich hatten wir schon. Wenn alle Sündenböcke umgebracht sind, müssen neue her, und die sind dann meist noch weiter draußen jenseits der eigenen Grenzen. Es wäre also sehr darauf zu achten, woran die Menschen arbeiten und auf wen sie ihre düsteren Schattenseiten projezieren. Sündenböcke finden sich immer, solange es unbewußte Menschen gibt. So bleiben schließlich eigentlich nur Opfer: die Fremden als Opfer der Umstände in ihrer Heimat und in der Fremde, die Fremdenhasser und die Fremdenhasser-Sympathisanten und die Fremdenhasser-Hasser als Opfer ihrer so ähnlichen Projektionen und jene die gegen den breiten Strom der Unbewußtheit zu schwimmen versuchen und Gefahr laufen, Opfer der mächtigen Strömung zu werden. Wenig Sinn macht es in dieser Situation auch, auf die anderen mit Fingern zu zeigen und den Projektionsmechanismus auf ganze Länder auszudehnen, wie es eingangs angedeutet wurde. Es entlastet Deutschland kein bißchen, daß die Ausländerfeindlichkeit in Österreich schon regierungsfähig ist, es entlastet Österreich auch kein bißchen, daß in Wahrheit in Deutschland alles schon viel schlimmer ist. Beides ist leider wahr und die wohlgesonnenen Kräfte sollten sich lieber zusammentun in ihrer Bewußtseinsarbeit. Daß wir auch in Rußland, Polen, Italien und Frankreich rechtsradikalen Haß finden, entlastet uns nicht im mindesten. Im Gegenteil zeigt es nur, wie weit es schon wieder gekommen ist. Antwortmöglichkeiten Die Opfer des Fremdenhasses brauchen unser Mitgefühl und unsere Hilfe, die Täter aber wohl genauso dringend unsere Nach-Hilfe. Und wir helfen ihnen auch dadurch, daß wir uns ihnen und vor allem ihren Untaten mutig und entschieden und wo notwendig auch mit großer Härte entgegenstellen solange es für sie und uns noch nicht zu spät ist. Dunkelheit läßt sich nur durch Licht wandeln. Wer die Hasser haßt, fördert die Ausbreitung der Dunkelheit und Unbewußtheit. Wem dagegen bezüglich seiner eigenen Situation ein Licht aufgeht, der kann auch anderen eines aufgehen lassen und so insgesamt Licht ins Dunkel bringen. von Dr. Ruediger Dahlke |