KOLUMNE
Freitag, 22. 2. 2002

von Mag. Marisa Fellner

HABEN ODER SEIN

Wer kennt den Unterschied zwischen Sein und Haben?

In der Grammatik ist es zunächst einmal einfach: Ich bin schön. Ich habe ein Haus. Das eine drückt etwas über einen Besitz von mir aus und das andere über einen Zustand von mir.

Das Wichtigste im Leben ist zu sein, trotzdem sind viele von der irrigen Ansicht überzeugt, dass es um das Haben geht im Leben. Ich möchte Ihnen nun den Unterschied zwischen Sein und Haben in der Liebe erklären, dazu ein paar einleitende Worte von Erich Fromm:

"Kann man Liebe haben? Wenn man das könnte, wäre Liebe ein Ding, eine Substanz, mithin etwas, was man haben und besitzen kann. Die Wahrheit ist, dass es kein solches Ding wie die 'Liebe' gibt. 'Liebe' ist eine Abstraktion; ... Lieben ist ein produktives Tätigsein, es impliziert, für jemanden (oder etwas) zu sorgen, ihn zu kennen, auf ihn einzugehen, ihn zu bestätigen, sich an ihm zu erfreuen - sei es ein Mensch, ein Baum, ein Bild, eine Idee. Es bedeutet ihn (sie, es) zum Leben zu erwecken, seine (ihre) Lebendigkeit zu steigern. Es ist ein Prozeß, der einen erneuert und wachsen läßt.

Wird Liebe aber in der Weise des Habens erlebt, so bedeutet dies, das Objekt, das man 'liebt', einzuschränken, gefangenzunehmen oder zu kontrollieren. Eine solche Liebe ist erwürgend, lähmend, erstickend, tötend statt belebend. Was als Liebe bezeichnet wird, ist meist ein Missbrauch des Wortes, um zu verschleiern, dass in Wirklichkeit nicht geliebt wird."*

Ich weiß, dass es für den Menschen, der so mit dem Haben verbunden ist, fast unmöglich ist zu lieben, denn lieben und haben widersprechen sich außer jemand kann trotz seines Habens auch lieben. Es gibt einige wenige Beweise dafür in der Geschichte. Das heißt aber nicht, dass jemand der nichts hat, deshalb lieben kann. Wenn jemand nichts hat, weil man ihm alles genommen hat, so hat dieses Fakt an sich noch nichts mit einer Änderung zu teil. Man müßte es schon freiwillig geben, um den obigen Beschreibungen und auch jenen der Bibel zu entsprechen. "Eines der Hauptthemen des Alten Testaments lautet: "Verlasse, was du hast, befreie dich von allen Fesseln, sei!"1 Es beginnt mit Abraham, der aufgefordert wird sein Land zu verlassen und seine Sippe aufzugeben. Und im neuen Testament Mt 6,19 steht: "Sammelt euch nicht Schätze hier auf der Erde, wo Motte und Wurm sie zerstören und wo Diebe einbrechen und sie stehlen, sondern sammelt euch Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Wurm sie zerstören und keine Diebe einbrechen und sie stehlen. Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz." Das zentrale Thema ist, dass der Mensch aller Habgier und allem Verlangen nach Besitztümern entsagen und sich vollständig vom Haben befreien soll. Um zum Abschluß nochmals auf meine ersten Sätze zurückzukommen, sein ist etwas Aktives, etwas Produktives. "Das Ausbrechen aus der Existenzweise des Habens ist die Voraussetzung jeder echten Aktivität."*

* Erich Fromm, haben oder sein, dtv

Neue Ideen und neue Anleitungen im nächsten Artikel: Einfach zum Nachdenken

L I T E R A T U R
Erich Fromm :
HABEN ODER SEIN
Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft
DTV, München 1998
Euro 8,-

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